In die Marsa Oseif im Norden des Sudans

Von Suakin gegen den Wind in den Norden

Nach dem Kaffee und einem letzten Blick auf den Wetterbericht gehen wir um 7 Uhr morgens Anker auf in Suakin, eine Stunde später setzten wir vor der Einfahrt das Gross im ersten Reff und fahren hart am Wind in Richtung Norden.

Ruinen von Suakin
Letzter Blick auf die Ruinen von Suakin
Fischer vor Suakin
Fischer vor Suakin

Vor uns die En Passent, hinter uns folgen Morgane und Barbar, alle drei sind Kielyachten. Wir sehen, dass die En Passent in etwa gleich schnell ist, dafür ca. 10 Grad steiler am Wind fahren kann als die SHE SAN im ersten Reff. Da wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten wenden, wird der direkte Vergleich schwierig.

Fischerboot unter Segeln ausserhalb von Suakin
Fischerboot unter Segeln ausserhalb von Suakin

Wann also wenden, stellt sich mir die Frage. Ich studiere den Wetterbericht und versuche eine Strategie auszuarbeiten. Während Reto auf dem Steuerbord Bug in Richtung Osten frustriert ist, dass die “Value Made Good” zum Wegpunkt unter 1 Knoten beträgt, interessiert mich das diesmal gar nicht. Ich möchte die Winddreher ausnützen so gut es geht. Das heisst, wenn der Wind aus Nordnordwest kommt nach Nordost segeln und wenn er aus Nordnordost kommt nach Nordwest segeln. Damit sich das auch mit der Küste und den Riffen ins Westen ausgeht, braucht es etwas Rechen und Zeichenarbeit.

Die erste Nacht ist anstrengend, zum Glück sind wir ausgeschlafen. Gegen Mittag meldet sich Daniel von der Morgane, dass er Wasser im Schiff hat. Wir verstehen am Funk erst nur die Fragen der anderen, und verstehen, dass die Yacht sowohl steuerbord als auch backbordseitig Wasser nimmt, nur nicht wenn sie flach im Wasser ist. Er entschliesst sich zurück nach Port Sudan zu segeln und dem Problem auf die Spur zu gehen. Erst dann wird mir bewusst, wie gross das Risiko einer Kielyacht ist zu sinken, ein Risiko, dass auf dem Catamaran aufgrund der vielen eingebauten Schwimmkörper nicht vorhanden ist.

Die zweite Nacht ist noch anstrengender als die erste. Erstens hat es bis zu 20 Knoten Wind – das war so nicht abgemacht – wir fahren ruppig im zweiten Reff. Uns ist beiden flau im Magen, das Abendessen fällt aus.

Zweitens möchten wir nicht zu weite Schläge von der Küste wegmachen, denn der Wind wird immer westlicher und es wird immer schwerer, dagegen anzukommen. Daher wenden wir alle ein bis zwei Stunden, was sehr anstrengend ist für den, der eigentlich schlafen soll. Bis um ein Uhr nachts ist das Reto, da ich bei dem Geschüttel sowieso nicht schlafen kann. Dafür schlafe ich tief und fest bis 4 Uhr morgens, Reto macht eine Wende ohne mich, der Wind nimmt langsam ab. Von 8 bis 10 Uhr läuft der Motor, wir fahren in den inneren Kanal, von dem aus all die Marsas (Buchten) an dieser Küste erreichbar sind. Unsere Wunschmarsa liegt ganz im Süden.

Küste im Norden des Sudans
Küste im Norden des Sudans

Obwohl landschaftlich sensationell entscheiden wir uns doch den Segeltag zu nützen und segeln dreissig Meilen weiter bis in die nördlichste der Buchten, die wir im Sudan gemäss unserem Agenten Mohamed benützen dürfen. Als wir an der Einfahrt der Marsa sind, ruft uns die En Passent auf Funk auf, sie sind 5 Meilen hinter uns. Das erstaunt uns nicht schlecht, wir dachten, sie seien schon lange in der Bucht.

Ein Adler umkreist die SHE SAN
Ein Adler umkreist die SHE SAN

Natur pur in der Marsa Marob

Dank dem Track eines Seglers auf Open CPN schlängeln wir uns durch die kurvige riffgespickte Einfahrt trotz entgegenstehender Nachmittagssonne. Am Anfang der Einfahrt liegt am Ufer ein verlassen aussehendes Camp mit Gebäuden, einer Tankstelle und einem Wachturm.

Einfahrt in die Marsa Marob
Einfahrt in die Marsa Marob
Das türkies leuchtende Riff läd zum Schnorcheln ein
Das türkies leuchtende Riff läd zum Schnorcheln ein

Wir werfen unseren Anker ganz hinten in der Marsa in fast unberührter Natur und freuen uns auf das Ankunftsbier, da hören wir die Stimme von Mark von der En Passent der jemanden mit „Entrance to the Marsa“ aufzurufen versucht. Als nur Reto antwortet berichtet er ihm erschreckt „ we just had somebody firing some shots over our heads“. Uns fährt ein Schreck in die Glieder, das Ankuftsbier bleibt im Kühlschrank. Eine viertel Stunde später ankert Mark neben uns, er berichtet, er habe dem Wachmann zwei Päckchen Zigaretten gegeben, dann durfte er weiterfahren. Offenbar ist das Camp nicht ganz so verlassen wie es aussieht und der Wachmann hat bei unserer Durchfahrt geschlafen.

Erleichtert geniessen wir den Sonnenuntergang und beobachten immer wieder eine schwarze Nase, die aus dem Wasser taucht. Das muss ein Dugong sein. Ich freue mich auf das Schnorcheln und Paddelborden am nächsten Tag, wir sind hier wirklich im Paradies. Erschöpft fallen wir beide nach Sonnenuntergang ins Bett.

Sonnenuntergang in der Marsa Marob
Sonnenuntergang in der Marsa Marob
Sonnenuntergang in der Marsa Marob
Abendhimmel nach Sonnenuntergang in der Marsa Marob

Rauswurf aus der Marsa Marob

Doch nun ist Reto an der Reihe mit dem Brechdurchfall. Als er zwischen den WC Besuchen wieder mal im Bett liegt, macht es einen Rumps an die Seite der SHE SAN. Reto denkt, hat uns jetzt das Dugong angestossen? Doch dann klopft jemand. Ein Militärboot mit zehn Soldaten und einem Offizier steht längsseits der SHE SAN. Der Offizier möchte unsere Papiere sehen, unsere Pässe und Berechtigungen zum Landgang und erklärt uns „You have to leave in the morning, with first sunlight! Marsa Oseif is ok.“ Verdammt, jetzt hab ich mich so auf die Tage in der Natur gefreut. Ich bin sehr enttäuscht, doch so ist es halt beim Segeln im Roten Meer – der Wind und die Behörden bestimmen, was man wann zu tun hat.

Das Militärcamp in der Marsa Marob ist wohl doch nicht verlassen
Das Militärcamp in der Marsa Marob ist wohl doch nicht verlassen

Schon bald nachdem unser Anker sich in den Sand der Marsa Oseif eingegraben hat, fängt auch der Wind an ordentlich aufzufrischen. Viel mehr, als dass die beiden Wetterberichte GFS und ECMWF es vorhergesagt haben. Und wir hatten noch überlegt ob man an diesem Tag noch Strecke machen könnte… Jetzt sind wir froh in der sicheren Bucht zu sitzen. Während Reto seine Bauchgrippe auskuriert habe ich endlich mal wieder Zeit zum Waschen, Putzen, Aufräumen und Schreiben.

Landgang in Marsa Oseif

Nach zwei Tagen ist Reto wieder auf den Beinen, es ist Zeit für einen Landgang. Yves von der Barbar hat herausgefunden, wo man im Dorf zu einer SIM Karte vom hiesigen Netzanbieter kommt. Über den staubigen Hügel mit der ärmlichen Siedlung gegenüber von unserem Ankerplatz arbeiten wir uns vor bis ins sandige Dorf.

Geissenstall
Geissenstall
Kinder und Jugendliche in der Marsa Oseif
Kinder und Jugendliche in der Marsa Oseif
Mann in der Marsa Oseif
Mann in der Marsa Oseif
LKW Kolonne in der Marsa Oseif
Logistikzentrum Marsa Oseif – hier werden die Waren von und nach Ägypten umgeladen

Vorbei an Pappkartonhäuschen in verblichenem grün und blau folgen wir Yves zielstrebig bis zu einem Krämerladen. Dieser hier hat neben allerlei Krimskrams und Lebensmitteln in Verpackungen auch irgendwo SIM Karten zum Verkauf. 3500 Sudanesische Pfund also 7 Doller kostet die SIM hier, allerdings müssen wir sie jetzt noch aufladen.

Krämerladen in Marsa Oseif
Krämerladen in Marsa Oseif

Dazu folgen wir Yves und einem jungen Mann in das Teezelt, in dem Tee, Kaffee und Shisha serviert werden. Wir stopfen die SIM ins Telefon, doch passiert nichts. Nach einer Weile verstehen wir, dass das nicht das Problem der SIM ist, sondern ist das Netz ausgefallen. In einer Stunde gehts, sagt der Mann, der uns beim Top Up helfen möchte.

Also erkunden wir das Dorf. Während der ersten Runde finden wir den Obst und Gemüsestand mit ein paar verschrumpelten Tomaten, grünen Bananen und ein paar Kartoffeln und Karotten. Eine Strasse weiter in der Bäckerei ist gerade Pause, eine Horde junger Burschen drückt sich interessiert vor die Türe, um uns zu begutachten. Nach dem üblichen Smalltalk „Where are you from?“ und „What’s your name?“ frage ich, ob ich im Inneren fotografieren darf. Meterhoch stapeln sich die zwei mal ein Meter grossen Holzrahmen, auf denen die Teiglinge als Bällchen gehen. Mit ein paar wenigen Handbewegungen drücken die Jungs die Bällchen flach. Im Holzofen brennt gerade ein grosses Feuer, die Asche ist zu einem Haufen zusammengeschoben. Ich nehme mir vor später nochmal wieder zu kommen, um den Backprozess zu dokumentieren, doch daraus wird leider nichts.

Die Bäckerjungen formen die flachen Brötchen
Die Bäckerjungen formen die flachen Brötchen
Der Ofen wird gerade wieder angeheizt
Der Ofen wird gerade wieder angeheizt, ein paar Brote der alten Charge liegen noch rum.
Als der Muezin ruft strömen alle in die Moschee.
Als der Muezin ruft strömen alle in die Moschee

In einer halben Stunde haben wir das Dorf zweimal umrundet und kehren zurück in das Teezelt. Immer noch kein Netz. Wir vereinbaren, am Nachmittag für das Top up wieder zu kommen. Dann hat Yves noch eine Idee. Er möchte eine Ausflug in die Berge organisieren und spricht noch mit dem Fahrer.

Wir gehen schon mal zurück zum Strand. Eine Horde Jungs folgt uns, ich krame in meinem Rucksack nach der Rolle Kekse, doch leider hab ich sie auf dem Schiff vergessen. Dann fällt mir auf, dass manche von Ihnen ein Zeichen mit einer Hand in der anderen machen. Heisst das, dass sie um Geld betteln?

Vor dem nächsten Haus sehe ich zum ersten Mal eine Gruppe junger Mädchen, sie sind ganz aufgeregt und kichern und gackern, dann kommen auch ältere Frauen aus dem Verschlag hervor. Doch alle machen die gleiche Handbewegung. Ich bin verunsichert, grinse sie breit an und verabschiede mich. Am Strand hat auch Yves uns eingeholt. Er berichtet von dem Fahrer, der erst begeistert war die Gruppe in die Berge zu fahren. Nach kurzem Überlegen hat er ihm aber abgesagt, denn er könne unsere Sicherheit nicht gewährleisten.

SHE SAN, Barbar, En Passent und Sea You in der Marsa Oseif
SHE SAN, Barbar, En Passent und Sea You in der Marsa Oseif

Eingesperrt an Bord

Als das Netz nach ein paar Stunden wieder da ist, vereinbaren wir über Funk nochmals ins Dorf zu gehen. Da sehen wir wie ein Fischerboot an der Sea You längs geht. Es sind 3 Männer an Bord, einer mit Militär Camouflagemontur, einer am Motor und einer mit kariertem Hemd. Oh jeh – der mit dem Hemd war auch in dem Militärboot nachts um 10 Uhr, erkennt Reto durch das Fernglas. Was können sie denn nun noch von uns wollen? Wollen Sie jetzt eine Gebühr für das Ankern hier?

Das Fischerboot mit den Militärs in angeregter Diskussion mit der Sea You
Das Fischerboot mit den Militärs in angeregter Diskussion mit Fabienne und Dominique von der Sea You

Nach einer viertel Stunde meldet sich Fabienne von der Sea You am Funk. Wir dürfen nicht mehr an Land gehen, ist die neue Meldung. Sie haben mit unserem Agenten Mohamed telefoniert, aber der kann auch nichts machen, sie brauchen uns auch keinen Grund zu nennen. Immerhin kommen sie an jedem Schiff längsseits und machen für uns den Topup, damit wir wenigstens Internet haben, wenn wir schon eingesperrt sind. Na prima. Als sie dann neben uns stehen, zeige ich ihnen noch eine Banane und eine halbe Knolle Knoblauch. Sie möchten sie nehmen, dann zeige ich „Nein, nein, ich möchte noch Bananen und Knoblauch“, damit sie verstehen, dass sie diese beim nächsten Besuch mitbringen sollen.

Doch am nächsten Tag kommt kein Boot. Erst spät abends als es schon dunkel ist, macht ein Boot an der Barbar neben uns fest, die Männer steigen auf die Yacht, sitzen im Cockpit und rauchen. Wir sind nicht sicher, ob es irgendwelche Fischer sind oder unsere Herren vom Militär. Am Morgen berichtet Aurelien, dass es die Militärs waren. Und sie erlauben einer Person, zum Einkaufen an Land zu gehen. Warum sie von den vier Yachten gerade die Barbar ausgesucht haben, fragen wir uns? Na klar, meint Reto, das ist das einzige Schiff mit nur Männern an Bord. Etwas später gehen Yves und Aurelien zu zweit einkaufen, sind ein paar Stunden unterwegs und bringen mir eine Hand voll brauner Bananen anstatt zwei Kilogramm grüner Bananen mit. Das wars dann mit unserem Kontakt zur Aussenwelt. Doch der Wind bläst dermassen über die Bucht, dass sowieso keiner freiwillig von Bord geht.

Sonnenuntergang in der Marsa Oseif
Sonnenuntergang in der Marsa Oseif

Nur morgens um 5.30 Uhr schaffe ich es zweimal mit dem Paddelbord ein paar Runden durch die Marsa zu drehen, ich bewundere die blauen und lilafarbenen Korallen auf dem Riff am Rande der Bucht und träume vom Schnorcheln. Ein bischen komme ich mir vor wie während dem Lockdown in Malaysien, als ich morgens im Dunkeln Joggen gehen musste, damit mich die Polizei nicht erwischt…Eine Stunde später bläst es wieder mit zwanzig Knoten und ich bin froh an Bord meinen Kaffee zu geniessen. Der viele Wind geht auf das Gemüt. Ausserdem sind wir beide enttäuscht, hatten wir uns doch so sehr auf die Entdeckung der wunderschönen Marsas und Riffe im Sudan gefreut und nun sitzen wir eine Woche in einer Bucht und schaffen es genau einmal an Land.

Der Grund für unser Landsgangverbot bleibt uns unbekannt. Wir spekulieren, ob es Yves war, der mit seinem Wunsch in die Berge zu fahren, die Militärs nervös gemacht hat oder ob sie nicht möchten, dass wir Touristen die Menschen hier auf irgendwelche anderen Gedanken bringen. Oder möchten sie uns einfach schützen, da möglicherweise die Gefahr besteht, dass wir von einer revolutionären Truppe gekidnappt werden? Wir wissen es nicht.

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6 Gedanken zu „In die Marsa Oseif im Norden des Sudans“

  1. Es ist immer sehr spannend von euch zu hören, ich wünsche euch weiterhin viele positive Erlebnisse und uns ist allen bewusst die negativen Erlebnisse sind nie fern.
    Bleibt gesund und alles Gute
    Christian

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  2. Danke für den neuen Bericht.
    Heftige Erlebnisse und mir scheint:
    Ohne Militär und ohne Waffen wäre das Leben entschieden leichter und gewiss auch weniger kriminell….
    Geniesst die Südküste der Türkei,…… ich google ja immer Bilder von den Orten wo ihr grad seid….. und mir scheint es dort sehr schön zu sein…… trotz Inflation……?
    Bin gespannt auf mehr
    herzlich Eva

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    • Liebe Eva,
      in der Tat würden weniger Waffen und Militär sicher vielerorts nicht schaden. Leider sind oft dahinter Interessen vertreten, die man auf den ersten Blick nicht so leicht erkennen kann.
      Die Südtürkei ist für uns bisher sehr entspannt, die Menschen sind unglaublich freundlich zu uns und trotzdem sicher alle mit der Inflation zu kämpfen haben, scheint das Leben normal weiter zu gehen.
      Bis bald mit dem letzten Teil des Roten Meers 😉 Liebe Grüsse

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